Der Bundesfinanzhof erkannte die Gemeinnützigkeit von Attac Trägerverein e.V. im Januar dieses Jahres ab (BFH, V‑R-60/17 v. 10.1.2019). Das Urteil ist noch nicht spruchreif, da das Verfahren an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen wurde. Dennoch, der Aufschrei in den gemeinnützigen Organisationen ist groß und die Befürchtung macht die Runde, das nicht gewollte politische Meinungen unterdrückt werden sollen. Aber so einfach ist dieser Sachverhalt nicht. Der Ursprung des heutigen Gemeinnützigkeitsrechts liegt in der am 1.1.1977 in Kraft getretenen Abgabenordnung (AO). Die §§ 51 bis 68 AO zu den gemeinnützigen Betätigungen basieren auf der Gemeinnützigkeitsverordnung aus 1941, diese wurde dann in 1953 neu gefasst.
In den letzten 30 Jahren hat sich die Welt der NPOs gewaltig verändert, es gibt Holdingstrukturen, gemeinnützige Unternehmen mit Millionen EUR Umsatz und weiterhin viele kleine Vereine. Da wird es schwer dies alles in den derzeitigen 20 Paragraphen zu erfassen. Der Anwendungserlass zur AO zu diesen Regelungen schafft da nur bedingt Klarheit.
Insbesondere unter Berücksichtigung der Digitalisierung und der Verlagerung der Kommunikation auf soziale Medien stößt die eindeutige Zuordnung von Betätigungen gemäß § 52 AO und ihrer Verwirklichung an Grenzen und schafft hohen Diskussionsbedarf bei der Gestaltung der Satzung mit der Finanzverwaltung. Wer schon mal einen Satzungsentwurf mit der Finanzbehörde abgestimmt hat, weiß wovon ich rede, oft nervenaufreibend. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die unzähligen Möglichkeiten der Förderung der Bildung auch zu Rechtstreitigkeiten führen, wie im Fall von Attac.
In der aktuellen Satzung des Vereines (www.attac.de) sind folgende Zwecke aufgeführt:
Förderung der Bildung, die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind; die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens; die Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie die Förderung des Umweltschutzes.
Der Verein betreibt dazu Bildungs- und Informationsarbeit
… in der Bundesrepublik Deutschland zu den Themen Nord-Süd-Differenz und Entwicklung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit, demokratische Grundprinzipien sowie Frieden, Völkerverständigung, Solidarität und weltweite Gerechtigkeit.
Weiterhin organisiert er Veranstaltungen und Konferenzen, Tagungen und sonstigen Fach- und Publikum-Ereignisse zu den vorgenannten Themen. Wir sehen, dass der Zweck des Vereines sehr umfassend in der Satzung erläutert ist.
Entscheidend in dem Verfahren am BFH war aber die Frage, in wie weit dazu die vielen unzähligen Kampagnen für die Erreichung von politischen Zielen, wie beispielhaft die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und der „30-Stunden-Woche“, notwendig waren, die z.T. mit drastischen Aktionen und Mitteln umgesetzt wurden. Sicherlich gehen viele Aktionen über normale konservative Bildungsformate hinaus und auch über die Verletzung der Bestimmungen gemäß AEAO Nr. 9 zu § 52 AO lässt sich trefflich streiten:
„Eine steuerbegünstigte allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens ist nur dann gegeben, wenn sich die Körperschaft umfassend mit den demokratischen Grundprinzipien befasst und diese objektiv und neutral würdigt. Ist hingegen Zweck der Körperschaft die politische Bildung, der es auf der Grundlage der Normen und Vorstellungen einer rechtsstaatlichen Demokratie um die Schaffung und Förderung politischer Wahrnehmungsfähigkeit und politischen Verantwortungsbewusstseins geht, liegt Volksbildung vor. Diese muss nicht nur in theoretischer Unterweisung bestehen, sie kann auch durch den Aufruf zu konkreter Handlung ergänzt werden. Keine politische Bildung ist demgegenüber die einseitige Agitation, die unkritische Indoktrination oder die parteipolitisch motivierte Einflussnahme (BFH-Urteil vom 23. 9. 1999, XI R 63/98, BStBl 2000 II S. 200).“
Ich kann durchaus die Entscheidung des BFH nachvollziehen, wenn dieser bei den Aktionen des Attac e.V. diese Regelungen gesetzestechnisch verletzt sah. Die Umsetzung von politischen Zielen ist den politischen Parteien vorbehalten, deswegen ist auch die Weiterleitung von Mitteln an eine Partei einer gemeinnützigen Körperschaft strikt untersagt (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO).
Das Problem liegt in den nicht mehr zeitgemäßen Inhalten etlicher Paragraphen des Gemeinnützigkeitsrechts, insbesondere die Aufzählung der gemeinnützigen Betätigungen im § 52 AO. Nicht nur ich sehe hier viele unbestimmte Rechtsbegriffe, die im „täglichen Wahnsinn des Steueralltags“ zu oft kuriosen Diskussionen mit der Finanzverwaltung führen. So durfte ich mich allen Ernstes umfassend mit einem Finanzamt streiten, ob Soziokultur eine gemeinnützige Förderung der Kunst und Kultur darstellt. Auch unter der Berücksichtigung, das gemäß Nr. 21 im § 52 (2) AO Schach Sport ist, dürfte sich schon bald ein verbitterter Streit entfachen, warum dann bitte schön der „eSport“ bisher nicht als gemeinnützige Betätigung angesehen wird.
Dem geneigtem Leser sei hier der umfassende Artikel „Trennt eSport und Sport nur ein Vokal?“ ans Herz gelegt (Dr. H. Pusch, npoR 2/2019, S. 53).
Mit Herrn Pusch habe ich schon unzählige Vorträge zum Gemeinnützigkeits- und Vereinsrecht gehalten. Dort hören wir in aller Regelmäßigkeit die Frage: „Wer bitte soll das alles noch verstehen?“ Eine berechtigte Frage!
Jens Kesseler